Swiss Hepatitis Symposium 2022

Migrantinnen und Migranten und deren Gesundheit beschäftigen uns nicht erst seit dem Krieg in der Ukraine. Etwa ein Viertel der Schweizer Bevölkerung ist im Ausland geboren. Was bedeutet das für die Gesundheitsversorgung bezüglich viraler Hepatitis und anderer Infektionskrankheiten? Diesen Fragen gingen die Referentinnen und Referenten am diesjährigen Swiss Hepatitis Symposium nach, das mit insgesamt über 90 Teilnehmenden online und im Saal gut besucht war.

Swiss Hepatitis Symposium 2022
Viral Hepatitis and Migration
Montag, 28. November 2022, 13.00 Uhr bis 17.00 Uhr

Welle7, Schanzenstrasse 5, 3008 Bern, mit Livestream

Sarah Blach von der CDA Foundation in Colorado, USA, hat die Schweizer Wohnbevölkerung, die im Ausland geboren wurde, genauer unter die Lupe genommen. 56 Prozent der chronischen Infektionen sind bei Personen, die im Ausland geboren sind, zu finden. Dabei ist der Anteil im Tessin mit 1% am höchsten gefolgt von Genf. Bei den absoluten Zahlen liegt Zürich an der Spitze (3’430) gefolgt von Waadt (2’110) und Genf (1’900). Die Zusammensetzung der Nationalitäten in den Kantonen ist allerdings sehr unterschiedlich. So sind Hepatitis-C-Fälle bei Personen aus Italien vor allem im Tessin hoch, bei Personen aus Portugal wiederum in der Westschweiz. Von daher brauche es kultursensible sowie der Bevölkerungsstruktur der Kantone angepasste Screening- und Behandlungsprogramme.

Kein «one size fits all»
Dass es keine Lösung gibt, die für alle gleichermassen passt, sieht auch Christina Greenaway so. Die Infektiologin und ausgewiesene Expertin für Migrant:innengesundheit aus Montreal/Kanada betont die hohe Diversität der Migrant:innen und die verschiedenen Kontexte, aus denen sie kommen. Tests sollten gemäss verschiedenen Guidelines Personen angeboten werden, welche aus Herkunftsländern kommen, die eine HIV-Prävalenz von 1% oder mehr resp. eine Hepatitis-B- und C-Prävalenz von 2% Prävalenz oder mehr ausweisen.
Testen und Behandlung ist wichtig, um die Gesundheit von Migrant:innen zu verbessern, die Krankheitslast im Gastland zu verringern oder auch um die Verbreitung von Infektionen im Gastland zu verhindern. Wobei der letzte Punkt ein kleineres Risiko darstelle, als die meisten denken würden, betonte Greenaway. Es gibt jedoch viele Barrieren beim Zugang zu Tests und Behandlungen. Dies sowohl auf Patient:innenseite, auf Seiten der Gesundheitsfachleute aber auch des Gesundheitssystems. Zentral ist eine Unterstützung, welche den kulturellen Hintergrund der Migrant:innen miteinbezieht. Ebenso zentral ist die sprachliche Unterstützung und die Arbeit von sogenannten «Health System Navigators». Das sind Personen, die Migrant:innen bei der Orientierung im Gesundheitswesen unterstützen. Zudem braucht es Schulungen für Fachpersonen im Gesundheitswesen genauso wie ein bedürfnisorientiertes Angebot von Dienstleistungen in unterschiedlichen Settings.
Am vielversprechendsten sind Screenings auf unterschiedliche Infektionskrankheiten bei Besuchen in einer Klinik oder bei einem Grundversorger am vielversprechendsten. Studien zeigen zudem, dass bei der richtigen Unterstützung der Zugang zur Behandlung und die Erfolgsrate sehr hoch sind.

Stigma als Barriere
Zwei «Health Systems Navigators» kamen danach zu Wort. Alex Schneider, welcher russische Wurzeln hat und lange in der Ukraine gelebt hat, berichtete eindrücklich von seiner Arbeit als Freiwilliger bei der Begleitung von Schutzsuchenden mit HIV oder Hepatitis aus der Ukraine. Diskriminierungsängste und Unwissen über das hiesige Gesundheitssystem verhinderten oft einen raschen Zugang zu einer Behandlung. Alex Schneider baut hier Brücken dank seiner Kenntnisse beider Gesundheitssysteme und hilft dabei, Ängste abzubauen.
Ähnliches berichtet Tesfalem Ghebreghiorghis von der Fachstelle für Sexuelle Gesundheit Zürich. Er begleitet Migrant:innengruppen unterschiedlichster Herkunft und klärt sie über HIV und andere Infektionskrankheiten auf. Stigma ist hierbei ein grosses Problem. Einerseits besteht Furcht davor, vom Gesundheitspersonal stigmatisiert zu werden. Fast noch grösser ist das Problem des Stigmas bei Bekanntwerden der Infektion innerhalb der Community, oder auch der Familie, die im Herkunftsland geblieben ist. Dies in vielen Fällen auch, weil Wissen zu Behandlungsmöglichkeiten fehlen. Besonders wertvoll sei es, Outreach-Arbeit an Orten zu leisten, wo Migrant:innengruppen zusammen kommen, sei es an einem Fussballspiel oder einem Schönheitswettbewerb.

Von der Coronapandemie lernen
Gilles Wandeler, Forscher mit Fokus Afrika am Inselspital, berichtete von Eliminationsbemühungen aus Ländern in Subsahara-Afrika. Dort betrifft Hepatitis C (HCV) vor allem Risikogruppen, Hepatitis B (HBV) hingegen die allgemeine Bevölkerung. Um Eliminationsziele zu erreichen, braucht es Prävention, Tests und Behandlungen, sowie Information und Wissen. Es gibt Erfolge: In einigen Ländern konnte die Impfabdeckung für Hepatitis B erheblich gesteigert werden. Bei hohen Prävalenzen braucht es jedoch eine Impfstrategie, wo Neugeborene gleich nach der Geburt eine Impfung erhalten (Birth dose vaccination), um die Elimination zu erreichen. Die Behandlung der Hepatitis B bietet zahlreiche Herausforderungen. Nur die wenigsten Patient:innen in afrikanischen Ländern qualifizieren für die Behandlung. Gleichzeitig werden aber immer wieder schwere Folgeerkrankungen verpasst, weil Patient:innen nicht behandelt wurden. Hier stellt sich die Frage, ob Behandlungsguidelines angepasst werden sollten. Es brauche auch mehr Forschung, um Wissenslücken zu schliessen.
Anna Eichenberger, Oberärztin am Inselspital, berichtet aus dem klinischen Alltag in den Empfangsstellen. Ein Dilemma sei, dass bei Personen mit chronischen Infektionskrankheiten in den Bundesasylzentren die Behandlungskette unterbrochen werden kann. Betroffenen wird gesagt, dass sie sich in den Kantonen für Tests und Behandlungen melden sollen. Dies im Wissen darum, dass gewisse Patient:innen so verloren gehen oder es wegen eines abgelehnten Asylantrags gar nicht zu einer Behandlung der chronischen Infektionskrankheit kommt.
Zum Schluss brachte Thomas Steffen, ehemaliger Kantonsarzt von Basel-Stadt und Präsident von Public Health Schweiz, die Sicht der Kantone ein. Diese würden eine Schlüsselrolle bei der Gesundheit von Migrant:innen spielen, insbesondere beim Umgang mit Ungleichheiten im Gesundheitsbereich. So habe man viel aus der Corona-Pandemie gelernt, welche die Migrant:innen besonders hart traf. Die Impfquote beispielsweise konnte dank über 100 Übersetzer:innen und gezielten Sprachnachrichten in sozialen Netzwerken der Migrant:innen-Communities erhöht werden. Von diesen Erfahrungen können wir lernen.

Podiumsdiskussion: Von «Simplification» und Pragmatismus
Am Podiumsgespräch war man sich einig, dass noch viel zu tun ist, weltweit aber auch in der Schweiz. So sagte Hepatitis-Schweiz-Präsident Philip Bruggmann, dass «Simplification» ein wichtiger Ansatz zum Lücken schliessen sei: Tests, Diagnostik, aber auch die Behandlung müssten vereinfacht werden. Betroffene sollten niederschwellig zu einem Test kommen, um herauszufinden, ob sie mit einem Hepatitis-Virus infiziert sind. Zudem müsste ein integrierter Zugang gewählt werden, damit Informationen zu HIV, Tuberkulose und viraler Hepatitis gebündelt werden. Gilles Wandeler zeigte an einem eindrücklichen Beispiel, dass Policys für die Versorgung von Infektionskrankheiten auch bei fehlenden Daten pragmatisch ausgestaltet werden sollen: Wie bei HIV-positiven Müttern sollte auch werdenden Müttern mit Hepatitis B selbst bei niedriger Viruslast eine Therapie angeboten werden, um eine Übertragung auf das Neugeborene zu verhindern. Doch oft setzen heute Behandlungsrichtlinien heute eine hohe Viruslast für eine Behandlung einer Hepatitis B voraus.
An diesem Nachmittag konnten Lücken und Barrieren in der Versorgungskette von Personen mit Migrationshintergrund aufgezeigt werden. Es gibt Lösungsansätze in Form der Community-Worker und Konzepte wie Simplifikation sowie die integrierte Versorgung und Policys, die aus der Praxis geboren werden. Alle diese Aspekte braucht es, damit die Eliminationsziele erreicht werden können.

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